
Moderne KI-Agenten: Vier Grundmuster intelligenter Automatisierung (Teil 1)

Michael Haushofer
27. Mai 2025
Klassische Chatbots sind meist nur darauf ausgelegt, einfache Frage-Antwort-Dialoge zu führen. Sie reagieren auf Eingaben, können aber keine eigenen Aktionen ausführen oder dynamisch neues Wissen einbinden. Moderne KI-Agenten hingegen gehen weit über solche statischen Dialog-Systeme hinaus.
Was macht KI-Agenten so besonders?
Ein KI-Agent ist im Kern ein System, das ein Large Language Model (LLM) nutzt, um problemlösend zu denken, einen Plan zu erstellen und diesen mithilfe von Tools umzusetzen. Mit anderen Worten: Der Agent kann Schritt für Schritt schlussfolgern, hat ein technisches "Gedächtnis" und kann eigenständig Aktionen ausführen, anstatt nur starr zu antworten.
Dies wurde beispielsweise durch Projekte wie AutoGPT bekannt, in denen Agenten komplexe Probleme weitgehend autonom bearbeiteten. Im Folgenden betrachten wir vier Grundmuster moderner KI-Agenten. Diese Muster – ReAct, Tool Use, Self-Reflection und CodeAct – zeigen, wie weit fortgeschrittene KI-Agenten klassische Chatbots hinter sich lassen.
Muster 1: ReAct – abwechselnd Denken und Handeln
Ein zentrales Prinzip smarter KI-Agenten ist das ReAct-Muster (Reason + Act). Anders als ein Chatbot, der direkt in einem Schritt antwortet, durchläuft ein ReAct-Agent einen Schleifenprozess aus "Denken" und "Handeln".
Konkret bedeutet das: Der Agent überlegt zunächst, was zu tun ist (Reasoning), führt dann eine Aktion aus (Acting, z. B. eine Wissensdatenbank abfragen) und bewertet das Ergebnis, bevor er den nächsten Gedankenschritt einleitet. Dieses abwechselnde Vorgehen erlaubt es dem Agenten, dynamisch zu planen, Informationen nachzuladen und seinen Plan bei Bedarf anzupassen.
Ein einfaches Beispiel
Stellen Sie sich vor, der Agent soll beantworten: "Wer war der CEO von Unternehmen X im Jahr 2010, und welche Produkte wurden damals eingeführt?".
Ein Chatbot ohne ReAct würde entweder raten oder nur auf vorhandenes Wissen zurückgreifen. Ein ReAct-Agent hingegen könnte etwa so vorgehen:
- Gedanke 1: "Ich sollte herausfinden, wer 2010 CEO war."
- Aktion 1: Eine Unternehmensdatenbank oder Websuche nach "Unternehmen X CEO 2010" abfragen.
- Beobachtung: Der Agent erhält den Namen des CEO.
- Gedanke 2: "Jetzt brauche ich die Produkteinführungen 2010."
- Aktion 2: In einer Produktdatenbank 2010 nachschlagen.
- Beobachtung: Liste der Produkte.
- Schließlich: kombiniert der Agent die Informationen zur Antwort.
Warum ist ReAct so wichtig?
Durch das Zwischen-Schritte-Machen kann der Agent komplexere Fragen beantworten und Fehler reduzieren. Studien zeigten, dass ReAct-Agenten auf wissensintensiven Aufgaben state-of-the-art Chatbots übertreffen. Zudem erhöht das für den Menschen nachvollziehbare Schritt-für-Schritt-Vorgehen die Vertrauenswürdigkeit der KI, da man sehen kann, wie der Agent zu einer Schlussfolgerung kommt.
Praxisbeispiel: Marktanalyse-Agent
Ein interner Recherche-Assistent könnte das ReAct-Muster nutzen, um erst relevante Marktdaten zu sammeln (Aktion), dann Schlüsse daraus zu ziehen (Denken), ggf. weitere Quellen anzufragen und am Ende einen fundierten Report zu generieren.
So ein Agent könnte z. B. in einer Beratung automatisiert Wettbewerbsanalysen erstellen – er sucht erst in öffentlichen Datenquellen nach Kennzahlen, interpretiert sie und liefert dann eine strukturierte Zusammenfassung. Da der Agent nur auf öffentlich verfügbare Datenquellen zugreift, bleiben sensible Unternehmensdaten geschützt.
Muster 2: Tool Use – KI-Agenten mit Werkzeugen ausstatten
Traditionelle Chatbots sind in ihrem Wissens- und Handlungshorizont begrenzt: Sie kennen nur das, was in ihren Trainingsdaten steht, und können außerhalb des Chats nichts bewirken. Ein moderner KI-Agent kann hingegen aktive Werkzeuge (Tools) nutzen, um Informationen zu beschaffen oder Aktionen in anderen Systemen auszuführen.
Unter Tool Use versteht man diese Fähigkeit eines Agenten, Programmierschnittstellen, Datenbanken oder Apps gezielt anzusprechen, sobald es nötig ist. Beispiele für Tools sind vielfältig: Web-Suche, Datenbankabfragen, Berechnungen, E-Mail-Versand, Reporting-Tools u. v. m.
Praktische Anwendung
Wenn der Agent z. B. eine komplexe Berechnung durchführen muss (etwa Umsatzzahlen summieren), kann er einen Rechner oder ein Tabellenkalkulations-Tool verwenden, statt zu versuchen, die Berechnung rein mit dem Sprachmodell zu "erraten". Ebenso kann er aktuelle Informationen aus dem Web abrufen oder einen Unternehmens-internen API-Call ausführen, um z. B. Bestandsdaten aus dem ERP-System zu holen.
Damit überwindet der Agent die Limitierung, nur mit vorab trainiertem Wissen zu arbeiten – er kann in Echtzeit auf externes Wissen zugreifen und Handlungen in digitalen Systemen vornehmen.
Vorteile im Unternehmenskontext
Durch Tool Use werden KI-Agenten zu echten digitalen Assistenten. Sie können Routineaufgaben automatisieren, die über reine Textantworten hinausgehen. Beispielsweise könnte ein Agent:
- Automatisch Tickets im IT-Service-Desk anlegen, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind
- In einer Marketing-Abteilung eigenständig Social-Media-Posts planen (mithilfe der Schnittstellen der Plattformen)
- In einer Vertriebsabteilung auf Anfrage aktuelle Kundendaten aus dem CRM ziehen und aufbereiten
- Wie in unserem Belegverarbeitungs-Beispiel Dokumente automatisch kategorisieren und ablegen
Wichtig ist hierbei, dass die Tools gezielt so ausgewählt werden, dass sensible Daten sicher verarbeitet werden. Man kann z. B. interne APIs nutzen oder den Agenten auf unternehmensinterne, konforme Datenquellen beschränken.
Muster 3: Self-Reflection – Selbstkontrolle zur Qualitätssteigerung
Selbst die besten KI-Systeme machen gelegentlich Fehler oder geben suboptimale Antworten. Das Self-Reflection-Muster adressiert genau dieses Problem: Hierbei wird der Agent darauf trainiert, seine eigenen Ausgaben kritisch zu prüfen und zu verbessern, bevor er sie endgültig ausgibt.
Anstatt die erste generierte Lösung unbesehen weiterzugeben, hält der Agent inne und analysiert sein Ergebnis mit einem zweiten KI-Schritt – quasi ein eingebauter Qualitätscheck.
Wie funktioniert Self-Reflection?
Man kann sich das so vorstellen, wie wenn Sie ChatGPT zuerst eine Antwort schreiben lassen und dann selbst Feedback geben: "Bitte überprüfe deine Antwort kritisch und verbessere sie, wo nötig." – Nur dass dieser Prozess beim Self-Reflection automatisch geschieht.
Zum Beispiel könnte ein Agent zunächst einen Entwurf eines Geschäftsberichts erstellen. Im nächsten Schritt schaut er – mit einer neuen "Gedankeninstanz" – auf den eigenen Entwurf und fragt sich: Sind Logik und Fakten korrekt? Gibt es Unklarheiten oder Fehler? Falls ja, formuliert er Verbesserungsvorschläge und überarbeitet den Bericht entsprechend.
Warum Self-Reflection?
Untersuchungen zeigen, dass LLM-Agenten durch Selbstkritik ihre Problemlösungsrate signifikant steigern können. Der Agent entdeckt so selbst Lücken oder Fehler, die ein einmaliger Durchlauf übersehen würde. Gerade bei kritischen Anwendungen – z. B. Code-Generierung oder fachliche Einschätzungen – erhöht Self-Reflection die Zuverlässigkeit.
Praxisbeispiel: Content-Qualitätssicherung
Ein KI-Marketing-Assistent könnte zunächst einen Social-Media-Post entwurfsmäßig erstellen und dann in einer Self-Reflection-Runde prüfen:
- Entspricht der Ton der Corporate Language?
- Sind Fakten (z. B. Produktdetails) korrekt?
- Ist die Botschaft klar verständlich?
Erst nach dieser internen Qualitätsprüfung wird der Post zur finalen Freigabe vorgelegt.
Ähnlich könnte ein technischer Support-Agent Lösungsvorschläge erstellen und anschließend selbstständig auf Vollständigkeit oder potenzielle Risiken prüfen. Durch Self-Reflection agiert der Agent wie ein interner Qualitätssicherer – besonders wichtig in Branchen mit hohen Qualitätsanforderungen.
Muster 4: CodeAct – Wenn KI-Agenten programmieren lernen
Ein besonders faszinierendes neues Muster ist CodeAct. Hierbei erweitern wir das Handlungsspektrum des Agenten noch einmal deutlich: Der Agent kann nicht nur vordefinierte Tools aufrufen, sondern beliebige Programmierlogik als Tool verwenden, indem er selbst Code schreibt und ausführt.
Im Grunde wird also Code zur "Aktion" des Agenten – daher der Name CodeAct. Dieses Paradigma vereint die Flexibilität der Programmierung mit der Sprachintelligenz des LLM.
Praktisches Beispiel
Stellen Sie sich vor, der Agent erhält eine Aufgabe wie "Analysiere die Umsatzentwicklung der letzten 5 Jahre und gib einen Trend aus". Mit CodeAct könnte der Agent Python-Code generieren, der z. B.:
- Auf eine Datenbank zugreift
- Die relevanten Daten abruft
- Berechnungen (z. B. Wachstumsraten) durchführt
- Vielleicht sogar ein Chart erzeugt
Dieser Code wird dann in einer sicheren Sandbox ausgeführt, und das Ergebnis (Zahlen, Diagramme) fließt zurück an den Agenten, der es in natürlicher Sprache zusammenfasst.
Der entscheidende Vorteil
Durch CodeAct ist der Agent nicht mehr auf die Nutzung einzelner vordefinierter Tools beschränkt, sondern kann kreativ eigene "Mini-Programme" schreiben, um komplexe Aufgaben zu lösen. Studien zeigen, dass LLM-Agenten mit CodeAct deutlich höhere Erfolgsraten bei komplizierten Aufgaben erzielen als solche, die nur starre Tool-Aufrufe haben.
Anwendungsbeispiele im Unternehmen
In Unternehmenskontexten eröffnet das enorme Möglichkeiten:
- Finance-Bereich: Ein Agent könnte automatisiert Berichte generieren, indem er selbst Code schreibt, der Finanzdaten aggregiert und auswertet
- IT-Abteilung: Ein Agent könnte auf Anweisung Teile des Codes einer Anwendung analysieren oder generieren (z. B. Skripte für Routineaufgaben)
- Datenanalyse: Komplexe SQL-Abfragen oder Python-Skripte zur Datenaufbereitung
Wichtig ist, entsprechende Sicherheitsmechanismen zu haben: Der vom Agent generierte Code sollte in kontrollierter Umgebung laufen, um Fehler oder Sicherheitsrisiken zu vermeiden. In vielen agentenbasierten Frameworks gibt es dafür Sandboxes oder Ausführungsbeschränkungen.
Durch CodeAct verschmelzen KI und klassische Programmier-Automatisierung. Der KI-Agent wird zu einem "Junior-Entwickler", der sich Routineprogrammierung selbst beibringt. Das beschleunigt die digitale Prozessautomatisierung enorm und entlastet die Fachkräfte, die sich auf die Interpretation der Ergebnisse konzentrieren können.
Praxisbeispiele: KI-Agenten im Unternehmenseinsatz
Alle vier Muster – ReAct, Tool Use, Self-Reflection und CodeAct – entfalten ihr Potenzial insbesondere in Kombination. Hier ein paar konkrete Einsatzszenarien aus dem Unternehmensalltag:
Intelligenter Daten-Analyst
Ein KI-Agent sammelt (ReAct) zunächst aus internen Data Warehouses relevante Kennzahlen, nutzt Berechnungstools (Tool Use) oder generiert SQL/Python-Code (CodeAct), um spezifische Analysen durchzuführen, und prüft abschließend seine Resultate (Self-Reflection).
So könnten z. B. Verkaufszahlen und Trends vollautomatisch analysiert und als Bericht bereitgestellt werden – ohne dass sensible Daten das Unternehmen verlassen.
Praxisbeispiel: Website-Analyse-Agent
Ähnlich unserem Blogpost 'Website-Check per Automation' analysiert ein Agent die Website der Firma. Er plant die Schritte (ReAct: z. B. HTML laden, Inhalte identifizieren), ruft die Seite wie ein Crawler ab (Tool Use: HTTP-Request ohne JS), führt Code aus, um Inhalte zu extrahieren (CodeAct, z. B. HTML-Parser) und bewertet dann die Seite per LLM (z. B. SEO-Kriterien).
Durch Self-Reflection könnte er seine Bewertung mit bekannten SEO-Guidelines abgleichen. Ergebnis: Ein Score und konkrete Optimierungstipps – vollautomatisch und reproduzierbar.
IT-Support-Automation
Ein interner Support-Agent beantwortet Mitarbeiterfragen zur IT oder HR. Er nutzt Tool Use, um in Handbüchern oder Wissensdatenbanken nachzuschlagen (ähnlich unserem KI-Wissensdatenbank-Beispiel), kann mit CodeAct kleine Skripte ausführen (z. B. einen Account-Reset anstoßen) und reflektiert seine Antworten (Self-Reflection), bevor er sie gibt.
So ein Agent könnte z. B. gängige IT-Support-Tickets (Passwort vergessen, Zugriffsanfragen) automatisieren, ohne dass menschliche Bearbeiter eingebunden werden müssen, außer in Sonderfällen.
Intelligente Dokumentenverarbeitung
Aufbauend auf unserem Belegverarbeitungs-Workflow könnte ein Agent nicht nur Rechnungen kategorisieren, sondern auch komplexere Dokumente wie Verträge oder Angebote analysieren. Er extrahiert relevante Daten (CodeAct), gleicht sie mit bestehenden Systemen ab (Tool Use), validiert die Ergebnisse (Self-Reflection) und plant weitere Schritte wie Genehmigungsworkflows (ReAct).
Fazit: Die nächste Stufe der Automatisierung
Moderne KI-Agenten unterscheiden sich fundamental von den Chatbots der ersten Generation. Durch Muster wie ReAct, Tool Use, Self-Reflection und CodeAct werden sie zu proaktiven, lernfähigen Assistenten, die in der Lage sind, umfangreiche Aufgabenpakete autonom zu bewältigen.
Für Digitalisierungsentscheider bedeutet das eine Chance, Prozesse zu automatisieren, die bislang zu komplex oder dynamisch für starre Software waren. Die vorgestellten Patterns lassen sich modular kombinieren und schrittweise ausbauen – von einfachen Assistenten bis hin zu komplexen Workflow-Automatisierungen.
In Teil 2 dieser Blogreihe schauen wir uns weitere fortgeschrittene Patterns an – etwa wie Planung, Multi-Agenten-Systeme, agentengestützte Wissensabfragen und Human-in-the-Loop noch mehr aus KI-Agenten herausholen und wie Unternehmen schrittweise in diese Technologien einsteigen können.
Möchten Sie erfahren, wie KI-Agenten in Ihrem Unternehmen konkret helfen können? Lassen Sie uns über Ihre Automatisierungs-Herausforderungen sprechen.